Die Nürnberger Dokumente – 80 Jahre nach Beginn des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses
Am 20. November 2025 jährt sich der Beginn des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses zum 80. Mal. Der Internationale Militärgerichtshof markierte damals einen juristischen Neubeginn: Erstmals wurden führende Vertreter eines Staates vor ein internationales Gericht gestellt, um sich für systematische Gewalt, Massenmord und einen Angriffskrieg zu verantworten. Grundlage dieses Verfahrens bildeten hunderttausende Seiten aus den Registraturen nationalsozialistischer Behörden, militärischer Dienststellen und Parteiorganisationen, die die Alliierten seit 1943 sichergestellt hatten. Ergänzt durch Vernehmungen, eidesstattliche Erklärungen und Zeugenaussagen bildeten sie das umfassende Beweismaterial, das systematisch geordnet und mit Seriennummern versehen wurde – darunter die „PS-Dokumente“ des Hauptprozesses und die „NO-Serie“ zu Parteiorganisationen, SS, Gestapo und SD. Achtzig Jahre später sind diese sogenannten „Nürnberger Dokumente“ sowohl Quellen der juristischen Aufarbeitung als auch ein zentraler Bestandteil der internationalen NS-Forschung. Die Anfänge des IfZ-Archivs Die Geschichte des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte ist eng mit den Nürnberger Dokumenten verbunden. Für das junge Institut, das 1949 seine Arbeit aufnahm, waren die beschlagnahmten Originalüberlieferungen des NS-Staates zunächst nicht zugänglich, da sie in alliierter Verwahrung im Ausland lagerten. 1949 erhielt das IfZ von amerikanischer Seite 28 Kisten mit Protokollen des Internationalen Militärgerichtshofs und der zwölf Nachfolgeprozesse. In den folgenden Jahren baute das Institut seine Arbeitsüberlieferung aus Kopien, Umdrucken und Dublettenbeständen auf – unter anderem aus dem Nürnberger Staatsarchiv und aus Unterlagen der Prozessverteidigungen. Diese Sammlung war für die Forschungslandschaft der frühen Bundesrepublik wichtig, jedoch stets eingebettet in ein größeres internationales Netz von Verwahrungsorten und Sammlungen. Denn die Nürnberger Dokumente sind international verteilt. Wichtige Bestände befinden sich u. a. in den National Archives (USA), im National Archives (UK), im Archives nationales (Frankreich), im Bundesarchiv und im Staatsarchiv Nürnberg, sowie in verschiedenen internationalen Universitäts- und Spezialarchiven. Archivische Erschließung der 1950er-Jahre Die Bedeutung der Dokumente für die Forschung liegt nicht zuletzt in ihrer Erschließung. In Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Archivlager Göttingen und dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund entstand in den 1950er-Jahren eine umfassende Erschließungskartei des IfZ. Sie eröffnet erstmals einen strukturierten Zugang zu rund 32.000 Beweisdokumenten und enthält regestartige Beschreibungen sowie ein Personen- und Sachregister. Die Kartei ermöglicht thematische Zugriffe, die über die juristische Ordnung hinausreichen, und erschließt u. a. Quellen zur NS-Wirtschafts- und Finanzverwaltung, zu Parteiorganisationen, Wehrmacht, Marine und Luftwaffe, zu Kriegsplanungen sowie zur Herrschaftspraxis in den besetzten Gebieten. Mitte der 2000er Jahre wurde die IfZ-Erschließungskartei digitalisiert und überarbeitet. Die Beschreibungen sind heute online an lizenzführenden Bibliotheken über das German History Portal des DeGruyter-Verlags zugänglich. Internationale Digitalisierungsprojekte Die Nürnberger Dokumente stehen bis heute exemplarisch für die Verbindung von juristischer Aufarbeitung, alliierter Archivarbeit und historischer Forschung. Ihre Aufbereitung und Erschließung – in Deutschland wie im Ausland – haben wesentlich dazu beigetragen, aus einem heterogenen Materialbestand eine tragfähige Grundlage für die historische Analyse zu schaffen. Im Zuge großangelegter Digitalisierungsprojekte sind immer mehr der Nürnberger Dokumente auch online verfügbar, darunter: Derzeit werden die Dokumente nach und nach in säurefreie Archivboxen umgepackt: Esther-Julia Howell, IfZ-ArchivWissenschaftliche Archivarin und Historikerin. Leiterin des IfZ-Archivs.More Posts - Website Follow Me:Add me on LinkedInOpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:Esther-Julia Howell, IfZ-Archiv (20. November 2025). Die Nürnberger Dokumente – 80 Jahre nach Beginn des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses. IfZ-Infrastruktur. Abgerufen am 20. November 2025 von https://ifzinfra.hypotheses.org/11236