Andrea Kießling
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Prof @ Goethe-Uni Frankfurt am Main | Gesundheits- und Sozialrecht, Migrationsrecht, Polizeirecht
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Reposted by Andrea Kießling
kommtdraufan.bsky.social
Und wie klug die SPD verhandelt. Anstatt zu sagen, "Eure Position ist sowieso verfassungswidrig, kommt wieder, wenn ihr einen verfassungskonformen Vorschlag habt." verhandelt man sich selbst auf die (vermeintliche) Grenze zur Verfassungswidirgkeit.
Reposted by Andrea Kießling
feministconlaw.bsky.social
Zur aktuellen Diskussion um Sanktionen beim Bürgergeld bis hin zur sogenannten Totalsanktion und ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit bereits 2024 differenziert und weiterführend Andrea Kießling @verfassungsblog.de:
verfassungsblog.de/totalverweig...
Totalverweigerung des Existenzminimums?
verfassungsblog.de
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Abgesehen davon müsste der Gesetzgeber nun Studien anführen, die die Eignung und Erforderlichkeit der jeweiligen Sanktionen belegen.

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...was man meiner Meinung nach bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit berücksichtigen muss.

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Für bloße Meldeversäumnisse kann man meiner Meinung nach nicht die Leistungen für die Unterkunft streichen und auch mit der Streichung des vollen Regelsatzes habe ich meine Probleme, weil der Bezug zur Überwindung der Bedürftigkeit mittelbarer ist als bei den anderen Pflichtverletzungen, ...

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Nun zu den Plänen der aktuellen Regierung:
Wichtig ist, dass sich diese Passage in Rn. 209 NUR auf den Fall bezieht, dass jemand eine zumutbare Arbeit, die in vollem Umfang seinen Lebensunterhalt sichern würde, ablehnt. Für alle anderen Konstellationen kann man sie nicht heranziehen.

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In Kauf genommen würden damit aber Obdachlosigkeit und Verelendung sowie soziale Exklusion – was eigentlich gerade den sozialstaatlichen Auftrag auf den Plan rufen müsste. Auch aus Sicht der Gesellschaft übrigens, die kein Interesse an diesen Folgen haben kann.

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Aber was bedeutet die Passage für die Dauer und den Umfang von „Sanktionen“? Man könnte sie so verstehen, dass der völlige Wegfall auch der Leistungen für Unterkunft und Heizung zulässig ist und dies sogar unbefristet.

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... sondern führt eine „Fiktion der Nichtbedürftigkeit“ ein – dass tatsächlich Bedürftigkeit vorliegt, ist unerheblich. In diesen Fällen besteht also eigentlich verfassungsrechtlich schon kein Anspruch auf existenzsichernde Leistungen.

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Was genau diese Passage bedeutet, ist unklar. Das Gericht prüft hier meiner Meinung nach nicht mehr die Verhältnismäßigkeit von Sanktionen (dies zeigt sich sprachlich auch an der Einleitung dieser Passage mit der Formulierung „anders liegt dies folglich“), ...

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Wichtig ist nun noch eine Passage am Ende des Urteils (Rn. 209). Hierauf hat schon die Ampel letztes Jahr verwiesen, als sie Sanktionen in Höhe von 100 % des Regelsatzes für maximal zwei Monate eingeführt hat, wenn jemand eine zumutbare Arbeit nicht aufnimmt (§ 31a Abs. 7 SGB II).

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Anders liegt dies folglich, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind. Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.
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Das BVerfG hat außerdem betont, dass Wohnungslosigkeit kontraproduktive Effekte haben kann (Rn. 194). Insgesamt scheint in verschiedenen Passagen des Urteils durch, dass das Gericht Wohnungslosigkeit als etwas betrachtet, was zu vermeiden ist.

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Sanktionen über 30 % sind also nicht per se verfassungswidrig. Man benötigt meiner Meinung nach aber nun Studien, die die Eignung und Erforderlichkeit nachweisen. Zur Erforderlichkeit sagte das BVerfG z.B. Folgendes:

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Angesichts der bei einer Minderung des Regelbedarfs um 60 % entstehenden außerordentlichen Belastung der Betroffenen ist jedenfalls sehr zweifelhaft, dass einer wiederholten Pflichtverletzung nicht durch mildere Mittel hinreichend effektiv entgegengewirkt werden könnte. Ein milderes Mittel wäre eine zweite Sanktion in geringerer Höhe, erforderlichenfalls bei längerer Dauer, da Studien nahelegen, dass eine Sanktion durch eine Minderung der Regelbedarfsleistungen um 60 % nicht zu deren Wirksamkeit beiträgt (oben Rn. 65 f.).
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Die Verfassungswidrigkeit iHv von 60/100% wurde damit begründet, dass keine tragfähigen Erkenntnisse vorlagen, die Eignung und Erforderlichkeit der Sanktionen belegten; für Sanktionen in Höhe von 30% ließ das BVerfG die Erkenntnisse wegen der geringeren Intensität des Grundrechtseingriffs ausreichen
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2. Zur Höhe:
Das BVerfG hat 2019 Sanktionen in Höhe von 30% für verfassungsgemäß erklärt, nicht aber in Höhe von 60 oder 100%.

Die Verfassungswidrigkeit der Sanktionen iHv von 60/100% wurde NICHT mit einer etwaigen absoluten Unverhältnismäßigkeit begründet. Dies wird oft falsch dargestellt.

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Pflichtverletzungen im engeren Sinne haben einen engen Bezug zur Überwindung der Bedürftigkeit (etwa bei Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit) oder überwinden die Bedürftigkeit unmittelbar (bei konkreten Jobangeboten). Dies muss man mMn bei der Bewertung von Sanktionen berücksichtigen.

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Auch die Sanktionierung bei Meldeversäumnissen zielt sicher auf die Überwindung der Bedürftigkeit, sie tut dies aber indirekter als Sanktionen, die auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten im engeren Sinne reagieren.

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Das BVerfG hat 2019 nur über Sanktionen entschieden, die an Pflichtverletzungen im engeren Sinne anknüpfen (vgl. § 31 SGB II), nicht aber über Meldeversäumnisse.

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Der Gesetzgeber darf hingegen nicht durch Sanktionen „repressiv Fehlverhalten“ ahnden.

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Der Gesetzgeber darf zweitens für den Fall, dass Menschen solche Mitwirkungspflichten ohne wichtigen Grund nicht einhalten (also eine Pflichtverletzung begehen), Sanktionen vorsehen, um so ihre Mitwirkung an der Überwindung der eigenen Bedürftigkeit durchzusetzen.
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Der Gesetzgeber darf erstens Mitwirkungspflichten einführen, die das Ziel verfolgen, dass Menschen die eigene Hilfebedürftigkeit durch Erwerbsarbeit vermeiden oder überwinden, soweit die Pflichten ausgerichtet an diesem Ziel verhältnismäßig sind.

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Deswegen darf der Gesetzgeber verlangen, dass die Betroffenen an der Überwindung ihrer Bedürftigkeit selbst aktiv mitwirken. Hieraus ergibt sich, inwiefern Sanktionen zulässig sein können:

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1. Zum Anlass:
Hartz IV/Bürgergeld/Grundsicherung (Name egal) setzen Bedürftigkeit voraus. Der Gesetzgeber darf die Inanspruchnahme dieser Leistungen an den Nachranggrundsatz binden, „also nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn Menschen ihre Existenz nicht vorrangig selbst sichern können“ (Rn. 123)
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Unterschieden werden muss insbesondere in zweierlei Hinsicht:
1. Was ist der Anlass einer Sanktion?
2. Was ist der Umfang der jeweiligen Sanktion?

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